Wächterpreis der Tagespresse
„Ein Beschluß über dieses Vorhaben soll erst nach reiflicher Prüfung fallen.“ Diesen Satz notiert Verleger Hans J. Reinowski für ein Sitzungsprotokoll des Stiftungsrates „Fiduziarische Stiftung Freiheit der Presse“. Als Vorsitzender der Mitgliederrunde, in einem Konferenzzimmer des Insel-Hotels zu Frankfurt am Main, hält er am 22. November 1968 auch folgendes fest:
„Es wurde erwogen, aus den zur Verfügung stehenden Mitteln der Stiftung einen namhaften Betrag für eine hervorragende publizistische Leistung in der Tagespresse – etwa bei der Wahrnehmung von staatsbürgerlichen Rechten, im Kampf um saubere Verwaltung, gegen Übergriffe der Bürokratie oder anderer Machtgruppen – zu stiften. Der Preis soll nicht an eine bestimmte Aufgabe gebunden, sondern für jeweils bereits veröffentlichte Arbeiten zuerkannt werden. Die Jury soll nicht von der Stiftung gestellt werden.“
Es wurde reiflich überlegt bis zum 25. Juni 1969. An diesem Tag beschloss der Stiftungsrat die Ausschreibung eines mit 10.000 DM dotierten Preises im Sinne der verfassungsmäßigen Aufgabe der Tagespresse als
„Wächter und Streiter einer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung“.
In den ersten Aufbaujahren war die bundesrepublikanische Presse den demokratischen Kräften des Staates gegenüber zurückhaltend mit allzu scharfen Urteilen. Sie glaubte, dass man erst die Substanz wahren und ausbauen müsse, bevor man mit harter Kritik an die Ausübung der öffentlichen Gewalt herangehen sollte. In diesem Sinne – nach Jahren der sogenannten Konformität – habe der Wächterpreis der Tagespresse jetzt gestiftet werden können, resümiert die Verlegerunde.
Auch die in eine unabhängige Jury berufenen Verleger (Alfred Neven DuMont, Köln; Dr. Hans Rempel, Gießen) und Journalisten (Karl Hermann Flach, Frankfurt; Dr. Karl Silex, Berlin) machen sich, unter dem Vorsitz von Dr. Theodor Eschenburg aus Tübingen, die Erkenntnis zu eigen: Nicht publizistische Glanzleistungen sollen belohnt werden. Der Preis will vielmehr den couragierten Reporter auszeichnen, der ohne Rücksicht auf Namen und bestehende Verhältnisse Missstände schonungslos aufdeckt. Dabei sollten auch in besonderem Maße kleine Zeitungen berücksichtig werden, die in der Regel eher Objekt von Pressionsversuchen durch die jeweilig Mächtigen sein können als große Zeitungen.
In über 40 Jahren erhielten mehr als 150 Journalisten den „Wächterpreis der Tagespresse“. Viele der Preisträger sind sind heute in herausragenden journalistischen Positionen tätig – bei Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen.